Humanismus: Die Würde des Menschen bei den frühen Humanisten

Humanismus: Die Würde des Menschen bei den frühen Humanisten
Humanismus: Die Würde des Menschen bei den frühen Humanisten
 
Die frühen Humanisten hatten das Denken der Gebildeten verändert, indem sie mithilfe der Rhetorik, mit der Entdeckung der griechischen Literatur, kurzum mit der Sprache den Menschen in das Zentrum des Interesses gerückt hatten. Auf alle geläufigen Themen der Philosophie und der Wissenschaften reagierten sie mit der Frage: »Was geht mich als Menschen das an?« Wissenschaft wurde Bildung. Notwendigerweise stellte sich dann die Frage nach dem Menschen selbst.
 
Papst Innozenz III. (1198-1216) hatte einen ermahnenden Traktat über das Elend der Menschheit (»De miseria hominis«) verfasst. Darauf reagierte unter anderem Gianozzo Manetti (* 1396, ✝ 1459) mit einer Schrift über »Die Würde des Menschen«. Manetti, der mit dem Hof des Königreichs Sizilien in Neapel verbunden war, lobt die Qualität des menschlichen Körpers, der es dem Menschen ermöglicht, als Krone der Schöpfung seinen Auftrag zu erfüllen. Sodann stellt er die Vorzüge der Seele zusammen, schließlich hebt er das Zusammenspiel von Körper und Geist heraus. Er beweist damit, dass der Mensch von Gott zur Beherrschung der übrigen Schöpfung geschaffen ist, die ihrerseits nur für den Menschen da ist. Die Hauptaufgabe des Menschen im Plan Gottes ist: agere et intelligere (handeln und erkennen). Alles, was irgendwie als Einschränkung der menschlichen Würde interpretiert werden kann, kehrt er um in die große Herausforderung für den Menschen, die vergängliche Wirklichkeit zu überwinden. Die Einheit von Handlung und Erkenntnis wird so zum übergreifenden Programm des Humanismus.
 
Ebenfalls am Hof des Königs von Neapel war Lorenzo Valla (* 1407, ✝ 1457) tätig; er war ein besonders streitbarer Schriftsteller. In zwei Schriften trug er zur Diskussion um die Menschenwürde bei: »De vero falsoque bono« (Das wahre und das falsche Gut; auch unter dem Titel »De voluptate« - »Von der Lust«) und »De libero arbitrio« (Über den freien Willen), beide Schriften sind gegen die spätantike christliche Autorität Boethius geschrieben, der nach Vallas Ansicht in seinem Werk »De consolatione philosophiae« (Trost der Philosophie) die Philosophie auf Kosten der Religion zu sehr betont hatte.
 
Valla diskutiert den Begriff der »Voluptas«, der Lust, indem er die stoischen und die epikureischen Moralprinzipien gegeneinander argumentieren lässt, um eine neue christliche Lösung zu präsentieren. Aus der epikureischen These, die Lust sei das einzige Gut, und dem stoischen Ideal Tugend der »Honestas«, der Ehre, folgt, dass in der Tat Lust das höchste Gut ist, allerdings in einem besonderen Sinne.
 
Wenn die bekannten Ethiken nach den Zielen des Handelns fragen, so geht Valla noch einen Schritt weiter und konzentriert die Diskussion darauf, dass Menschen überhaupt durch Antrieb handeln - die einzelnen Taten und Tugenden gehen erst daraus hervor. Voluptas, Lust, ist der Grundtrieb des Menschen, und deshalb ist Lust auch das Prinzip, nach dem Jenseitigen zu streben. Damit verliert der Begriff alles Anstößige, er fasst vielmehr alle Bestrebungen des Menschen zusammen. Ihm gegenüber steht das Gute. Nicht auf die Unterscheidung der Tugenden kommt es an, sondern auf die Unterscheidung des Guten. Nicht die Lust ist das Gute, sondern das, wodurch man sich Lust verspricht. Dies allerdings ist zweifach, irdisch und überirdisch. Gott ist daher nicht das höchste Gut, sondern das wahre. Dieses Gut verspricht sich der Mensch allerdings nicht in der Weise, dass er aufhört, Mensch zu sein, sondern so, dass er es für sich als Mensch genießt, denn sonst wäre das Streben nach dem wahren Gut keine Lust.
 
Darin ist eine Attacke auf die christliche traditionelle Theologie enthalten, denn üblicherweise wird das höchste Gut in Gott gesehen. Valla unterscheidet jetzt zwischen einem höchsten Gut in sich, das ist unbestritten Gott selbst, und dem Gut für den Menschen: Der Mensch kann nicht Gott werden, nur dann wäre Gott für ihn das höchste Gut; was der Mensch erreichen kann, ist Gott zu erkennen und zu genießen, somit ist dieser Genuss des Menschen höchstes Gut.
 
Wenn es auf die menschliche Fähigkeit zu Handeln ankommt, so mussten die Humanisten auch die Handlungsfreiheit beschreiben.Lorenzo Valla kritisiert, Boethius habe behauptet, Gottes Freiheit habe ihren Sinn in der göttlichen Allwissenheit, die überzeitlich sei und daher die Geschehnisse aller Zeiten zur Gegenwart habe. Das sei zwar philosophisch korrekt, löse allerdings das Freiheitsproblem nicht, denn: »Wie kann ich hoffen, zur Erkenntnis der Einsicht und Ewigkeit zu kommen, der ich [als Mensch] vernunftbegabt bin und nichts außerhalb der Zeit kenne?« Was nützt dem Menschen die Freiheit Gottes? Der endliche Mensch hat immer dann Angst, die Freiheit zu verlieren, wenn er die Bedingungen der göttlichen Freiheit analysiert, weil der Mensch ihr unterstellt ist.
 
Den Zwiespalt von Handeln und Wissen, was geschieht, stellt Valla durch eine Erzählung dar, in der der Gott Apoll das Vorherwissen hat, welches das Tun der Menschen vorherzubestimmen scheint, und der Gott Jupiter das Wollen, in dem Gottes Freiheit besteht. Aus der Spaltung der Götter geht scheinbar hervor, dass dem Menschen keinerlei Freiheit übrig bleibt. Denn der eine Gott weiß die Zukunft, der andere bestimmt sie. Da hilft nur das Gebet zu Jupiter. Das Problem des Christentums ergibt sich aus der Vereinigung beider Mächte in einem Gott. Dann allerdings ist die Freiheit des Menschen zwar philosophisch nicht beweisbar, aber immerhin möglich. Wenn Gott alles restlos vorherweiß, stimmt er auch allem vorher zu: Gott kann nicht etwas nichtwollen, von dessen Existenz er weiß, denn was Gott weiß, ist wahr. Also will er auch alles. Falls es Böses gibt, will Gott auch Böses. In jedem Falle kann folglich der Mensch entweder nichts Böses wollen oder aber dafür nicht verantwortlich sein: Beides macht seine Freiheit zu einem leeren Wort. Deshalb wird Erasmus von Rotterdam die Spekulation um das göttliche Vorherwissen abseitig und überflüssig nennen, während Luther die Freiheit radikal negieren wird.
 
Der philosophische Ertrag der Argumente der Humanisten ist jedoch, die Bedingungen des menschlichen Handelns zu untersuchen. In gewissem Sinne wird Gott zum Prüfstein solcher Theorien. Gott ist der Ernstfall. Wenn Wollen und Wissen in Gott zu Antinomien führen, dann beschreiben sie umso exakter die Struktur des menschlichen Handelns. Freiheit beruht also auf dem Zusammenspiel von Willen und Weisheit.
 
Vallas Überlegungen galten als Provokation, er wollte zur Reform der christlichen Religion beitragen, indem er den Anspruch der Religion an den Menschen und die begriffliche Schärfe der christlichen Lehre radikalisiert. Er bereitete damit sowohl eine rationalistische Ethik als auch die neuzeitliche Theodizee (die Rechtfertigung Gottes angesichts des Bösen) vor.
 
Ebenfalls zur Verbesserung des christlichen Denkens wollte Marsilio Ficino (* 1433, ✝ 1499) beitragen. Cosimo de' Medici, der Machthaber von Florenz, hatte ihn zum »Seelenarzt« bestimmt. Um die Unsterblichkeit der einzelnen Seele zu beweisen, widerlegt er in seiner umfangreichen »Platonischen Theologie« (»Theologia Platonica sive de immortalitate animorum«) alle Theorien, die die Würde des Menschen durch bloße Körperlichkeit oder Aufhebung der Individualität mindern. Auftrag des Menschen ist deshalb, sich zum höchsten Gut aufzuschwingen und möglichst mit Gott eins zu werden; denn Gott als Schöpfer ist das Prinzip des freien Handelns schlechthin. Möglich ist dem Menschen dies, weil er gerade in der Fähigkeit zu streben und zu handeln und somit über sich hinaus zu gehen ein Abbild Gottes ist. Auf diese Weise unterwirft sich der Mensch nicht einfach dem Willen Gottes, sonden ist aktiv Mitwirkender am Heilsplan. Keineswegs endet Ficinos Theorie in bloßer Gottergebenheit, vielmehr sieht er die göttliche Macht im konkreten Menschen verwirklicht. Zwar gilt ihm der Grundsatz »die Seele, das ist der Mensch«, aber diese Seele lebt in einem Körper und ist unter anderen Seelen vereinzelt und in Gemeinschaft. Deshalb entwift Ficino in einer Nachahmung des »Symposions« Platons eine Theorie der himmlischen und irdischen Liebe. Die himmlische Liebe sucht die Vereinigung der Seele mit Gott, die irdische die mit der geliebten Seele eines Menschen. Die zwischenmenschliche Liebe besteht im Austausch der Seelen der Liebenden, die sich selbst jeweils im anderen finden. Liebe ist bei Ficino eine Metapher für das Leben. Es erfüllt sich, wenn es über sich hinaus geht.
 
Die berühmteste Schrift der Renaissance über die Menschenwürde (»De hominis dignitate oratio«) hat der jüngere Freund Ficinos, Giovanni Pico della Mirandola (* 1463, ✝ 1494), verfasst. Als Universalgelehrter, der scholastisches und humanistisches Wissen vereinigte, lud er mit dieser Rede zu einer (nicht stattgefundenen) öffentlichen Debatte über das gesamte Spektrum der damaligen Theologie und Philosophie ein. Er nahm die von Manetti und Ficino vorbereitete Idee auf, dass der Mensch als Einheit von Leib und Seele ein Mittelding, eine Verknüpfung des Irdischen mit dem Göttlichen ist. Er sieht die Besonderheit des Menschen darin, dass er nicht bloß die widersprüchlichen Eigenschaften der körperlichen und geistigen Dinge in sich vereinigt, sondern vor allem aus dieser »Position« völlig offen ist, die Welt zu betrachten, zu erforschen und sich in seinem Wesen selbst zu bestimmen. Es ist die Neutralität gegenüber allem, die dem Menschen die Aufgabe stellt, sich aus dem zu verwirklichen, womit er sich befasst. Die Freiheit des Handelns und Erkennens - und das im Gegensatz sowohl zu den Tieren als auch zu den Engeln, deren Breich festgelegt ist - macht den Menschen heimatlos. Aber woher kommt dem Menschen diese Einsicht? Gerade daher, dass er als geistiges Wesen nicht nur auf die ihn umgebende Welt reagiert, sondern sich auf sich selbst bezieht, sich als Menschen betrachtet. So erfüllt Pico mit einer modern erscheinenden Philosophie des subjektiven Geistes das Versprechen der Reanaissance-Humanisten, Antwort auf die Frage zu geben: Was geht die Welt den Menschen an?
 
Dr. Paul Richard Blum
 
 
Flasch, Kurt: Einführung in die Philosophie des Mittelalters. Darmstadt 31994.
 
Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung, herausgegeben von Rüdiger Bubner. Band 3: Renaissance und frühe Neuzeit, herausgegeben von Stephan Otto. Neudruck Stuttgart 1994.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Humanismus — Hu|ma|nịs|mus 〈m.; ; unz.〉 1. 〈13. 16. Jh.〉 geistige Strömung in Europa, die nach Erneuerung des von der Kultur des Altertums beeinflussten Bildungsideals strebte 2. 〈allg.〉 Streben nach echter Menschlichkeit, nach edlem, menschenwürdigem Leben… …   Universal-Lexikon

  • christliche Philosophie — chrịstliche Philosophie   [k ], in der weitesten Bedeutung die Philosophie, deren Gehalt durch die christliche Offenbarung und die Auseinandersetzung mit ihr geprägt ist und deren Gestalt nicht denkbar ist ohne die Veränderung, die die… …   Universal-Lexikon

  • Humanismus — Michelangelo Buonarroti: Die Erschaffung des Menschen Humanismus ist eine Weltanschauung, die auf die abendländische Philosophie der Antike zurückgreift und sich an den Interessen, den Werten und der Würde des einzelnen Menschen orientiert.… …   Deutsch Wikipedia

  • Dritter Humanismus — Humanismus ist eine aus der abendländischen Philosophie hergeleitete Weltanschauung, die sich an den Interessen, den Werten und der Würde insbesondere des einzelnen Menschen orientiert. Toleranz, Gewaltfreiheit und Gewissensfreiheit gelten als… …   Deutsch Wikipedia

  • Säkularer Humanismus — Humanismus ist eine aus der abendländischen Philosophie hergeleitete Weltanschauung, die sich an den Interessen, den Werten und der Würde insbesondere des einzelnen Menschen orientiert. Toleranz, Gewaltfreiheit und Gewissensfreiheit gelten als… …   Deutsch Wikipedia

  • Renaissance-Humanismus — [ʀənɛˈsɑ̃s] ist die moderne Bezeichnung für eine machtvolle geistige Strömung in der Zeit der Renaissance, die zuerst von Francesco Petrarca (1304–1374) angeregt wurde, in Florenz ein herausragendes Zentrum hatte und sich im 15. und 16.… …   Deutsch Wikipedia

  • Humanismus in Europa: Ausbreitung einer Bewegung —   Frankreich erlebte die ersten Ansätze des Humanismus bereits Anfang des 15. Jahrhunderts dank des päpstlichen Hofes in Avignon. Hier konnte humanistische Bildung zum Erwerb königlicher Ämter dienen, was zu einer Konkurrenz mit dem Geburtsadel… …   Universal-Lexikon

  • Philosophie der Renaissance und des Humanismus — Der Philosoph im Ständebuch von 1568 Die Philosophie der Renaissance und des Humanismus (ca. 1400 bis ca. 1600) ist ein Abschnitt der Philosophiegeschichte, der als Übergang von der ganz unter dem Primat der Theologie stehenden Philosophie des… …   Deutsch Wikipedia

  • Geschichte des Theaters — Die Geschichte des Theaters ist die Geschichte von der Aufführung szenischer Darstellungen im Theater. Idealtypus des antiken griechischen Theaters Inhaltsverzeichnis 1 Einführung …   Deutsch Wikipedia

  • Ungarische Literatur des Mittelalters — Das Nikolsburger Abc, 1483 Die ungarische Literatur des Mittelalters beginnt in der Zeit der Árpáden im 10. Jahrhundert und geht in die Renaissance über, deren Beginn in Ungarn mit dem Namen des Königs Matthias Corvinus eng verknüpft ist. Da der… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”